24 Jahre Schuldienst - Positives und Negatives

Schuldienst ist immer eine sehr ambivalente Angelegenheit: Als Mitarbeitender hat man auf der einen Seite die Sicherheit des Beamtentums, auf der anderen Seite fehlen Freiheit und Inspiration der freien Wirtschaft. Da meine ursprüngliche These "Wer gut arbeitet, muss auch keine Entlassung befürchten" durch die Beendigung meines Arbeitsverhältnisses bei der Firma Dentsply in Konstanz an absurdum geführt wurde, war ich 1993 sehr froh, in der Sicherheit des Berufsbeamtentums gelandet zu sein. Aber o weh! Neben wenigen Vernünftigen saß ich nun mit teilweise sehr weltfremden Menschen am selben Tisch und durfte zum Beispiel erklären, wie man auf der Tastatur das "ätt-Zeichen" (@) erzeugt. Bei Diskussionen im Lehrerzimmer musste mich oft gewaltig zurückhalten, denn wer offen eine Meinung sagt, die vom Mainstream abweicht, wird anschließend gemieden oder gemobbt.

LehrerInnen tun häufig so, als seien sie sehr progressiv, schließlich sollen sie die Kinder von heute für die Welt von morgen ausbilden. In Wahrheit aber gibt es viele KollegInnen, die sehr rückwärts denken und den Fortschritt lähmen, weil sie zum Beispiel den Gebrauch von Smartphones verbieten, anstatt deren sinnvollen Gebrauch zu propagieren. Während SchülerInnen in anderen Ländern ihre erste nützliche App programmieren, werden in Deutschland die Smartphones während des Unterrichts eingeschlossen. Wie schade!

Nach dem Referendariat war meine erste Anstellung im Beamtenverhältnis die Bertha-Krupp-Realschule in Essen-West. Schulleiter war damals ein Herr Lotter, von dem es viele Geschichten zu erzählen gibt. Einmal kam er fünf Minuten nach Ende der großen Pause ins Lehrerzimmer, machte den Mund auf und zu wie ein Fisch, der nach Sauerstoff ringt,  und rief dann den dort noch Anwesenden zu: "Sie erlauben sich gerade eine 10%ige Arbeitszeitverkürzung! Soll ich Ihnen auch einmal eine 10%ige Gehaltskürzung zuweisen?" Einem Kollegen, der am Rosenmontag mit Mütze und Ringelhemd in die Schule kam, sagte er: "Anstatt sich vor Ihren Schülern zum Clown zu machen, sollten Sie einmal versuchen, pädagogischen Boden unter ihren Füßen zu bekommen!" Was für ein lustiger Mensch, gleichzeitig auch ein armer Mensch, denn er hatte nur einen sehr beschränkten Blick auf die Welt. Ein wenig unangenehm war er auch.

Nach drei Jahren "in Ruhrpott" zog ich wegen Heirat und Gründung einer Familie nach Datteln und wechselte in eine näher gelegene Schule in Herten, die sich gerade im Aufbau befand: KollegInnen ohne Ahnung und gleichzeitig überengangiert! Konferenzen dauerten nicht selten bis kurz vor Mitternacht, weil die zumeist sehr jungen KollegInnen die größten Selbstverständlichkeiten, die in den Schulvorschriften nachzulesen sind, noch einmal neu erfinden mussten. Zudem trat das Landesfrauenfördergesetz in Kraft, das Beförderungsstellen solange den Frauen vorbehalten sollte, bis diese einen Gleichstand erreicht haben. Tolle Idee, aber leider war ich wohl mit dem falschen Geschlecht zur Welt gekommen und als Mann waren meine Karrieremöglichkeiten für die nächsten Jahrzehnte auf Null gesunken, weil an Realschulen üblicherweise 40 Lehrinnen sowie fünf Lehrer beschäftigt waren, einer davon Schulleiter! Also wechselte ich vom "Kapitel Realschule" ins "Kapitel Gesamtschule"; dort waren seit jeher Frauen auf Beförderungsstellen und mussten nicht mehr um Gleichheit kämpfen.

Auf diese Weise gelangte ich 1998 an die Mont-Cenis-Gesamtschule in Herne, wo ich mir einen guten Ruf und zwei Beförderungen erarbeiten konnte. Auch die Schule arbeitete an ihrem guten Ruf, zu dem ich durch die Gründung eines Schulsanitätsdienstes beitragen konnte. Zu dem damaligen Schulleitungsteam Müller und Stoffer hatte ich einen guten Draht. Gerne unternahm ich fachbezogene Exkursionen, wenn die Schüler sich im Unterricht gut benahmen. Einmal besuchte ich mit einer 9. Klasse das Naturkundemuseum in Dortmund, das u. a. ein Original des Messeler Urpferdchens in der Ausstellung hatte und eine Wissens-Rallye zum Thema Evolution vorbereitet hatte. Während einer Pause, zu der wir uns um das Rundaquarium im Erdgeschoss mit mitgebrachtem Proviant versammelten, fragte ich die Kassiererin, warum denn so viele Aufsichten im Haus versammelt sind. Sie antwortete: "Sie haben eine Gesamtschulklasse angemeldet - beim Besuch von Dortmunder Gesamtschulen geht regelmäßig eine Vitrine zu Bruch!" Eine Schülerin, die das Gespräch mit anhörte, war entsetzt: "Wenn wir so etwas machen würden, hätte unser Lehrer niemals einen Ausflug mit uns unternommen!"

Leider gibt es / gab es viele KollegInnen, die anders denken und das Schulgelände mit einer wilden Horde verlassen, die Chaos und Zerstörung bereiten. Derartige SchülerInnen (und KollegInnen, die nicht richtig eingreifen) musste ich leider an einer Wattenscheider Gesamtschule mit dem schönen Namen "Maria Sibylla Merian" kennenlernen, an die ich wegen meiner Beförderung zum Oberstudienrat versetzt wurde. Ich traute meinen Ohren kaum, als der Schulleiter mich anwies, die neuen Stühle eines Klassenzimmers von unten mit Nummern zu kennzeichnen. Die alte Bestuhlung war durch Gewalttätigkeiten zu Kleinholz zerlegt worden. Dass der schwächste Schüler einer Klasse "seinen" Stuhl von jemand anders zerstört bekommen könnte, ließ sich mit dieser Maßnahme naturgemäß nicht verhindern, und so gab es noch weiteres Kleinholz in den völlig chaotischen Klassen. Es gab noch weitere Vorfälle, bei denen ich unter Beschuss geriet (unter anderem 11 angerostete Behälter mit insgesamt 110 Liter hochentflammbarer Umdruckerflüssigkeit vom früher angewendeten Spiritus-Carbon-Umdruckverfahren, die schon ca. 15 Jahre neben einem schon brandgefährdendem Kopiergerät lagerten); als "Highlight" sollte ich auf einer Lehrerkonferenz einen Vortrag halten, von dem ich nichts wusste. Meine "mangelnde Vorbereitung" wurde vom lediglich durch sein SPD-Parteibuch qualifizierten Schulleiter reichlich ausgeweidet. Ein Kollege zeigte mir mit einem "Psst!" eine frisch kopierte Tagesordnung, auf der "mein Vortrag" 10 Minuten vor der Konferenz noch nicht zu finden war. Wenige Wochen später stellte mir ein Arzt einen roten Zettel aus: Stationäre Einweisung, Burnout Syndrom.

Alles Schlechte hat sein Gutes - mein Aufenthalt in Schloss Pröbsting bei Borken verhalf mir zu einem Perspektivenwechsel und zu gesünderer Lebensweise mit gesundheitsbewussterem Essen und Trinken, sowie mehr Sport, insbesondere Schwimmen. Dadurch wurde ich animiert, nicht nur das Abzeichen "Rettungsschwimmer" zu erwerben, sondern auch praktisch im Küstenwachdienst am Priwall bei Lübeck anzuwenden. Meine damals 12jährige Tochter begleitete mich und wurde ebenfalls Rettungsschwimmerin.

Warum nicht dort arbeiten, wo es einem gut geht? Durch den Küstenwachdienst kam ich auf die Idee, mich nach Schleswig-Holstein versetzen zu lassen, und schon der zweite Antrag hatte Erfolg! Die Domschule in Schleswig kam mir vor wie ein Kurort für Lehrkräfte: "Sie sind nicht gut bei Stimme, geben Sie uns doch einfach eine Aufgabe, wir machen das schon!" In Nordrhein-Westfalen hätte man sich beim ersten Kratzen im Hals krank melden müssen, um einen Tanz der Schüler auf Tischen und Bänken zu verhindern - wie erfrischend anders ist es doch in Schleswig-Holstein!

Domschule - Kolleginnen und falsche Abiturfragen

 

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